Getreide: Märkte im Hausse-Fieber

S. Linker sabine.linker@llh.hessen.de Stand: 05.07.2012


Dürre und Hitze in den USA, immer niedrigere Ernteerwartungen für Osteuropa und die Leitzinssenkung im Euroraum: Das sind die Faktoren, die derzeit die Preisphantasien immer höher schlagen lassen. Jetzt läßt die Börsen-Rallye auch die Kassamarkt-Preise explodieren.

 

Marktlage
180 bis 190 Euro/t netto ex-Ernte wurde Weizenerzeugern noch vor kurzem vom Agrarhandel geboten. Inzwischen liegen die Preisangebote bei 205 bis 215 Euro netto je nach Liefermenge und Parität. Mühlen bieten inzwischen sogar 220 bis 230 Euro/t. Innerhalb weniger Tage schnellten die Erzeugerpreise am Weizenmarkt um rund 13 % in die Höhe.

Drei Marktfaktoren sind für die Rallye der letzten Tage verantwortlich:

1.

Marktfaktor USA
Zunächst waren es nur Bedenken, ob das ungünstige Anbauwetter in den USA zu Ertragsdepressionen bei Sommerweizen und auch bei Körnermais führen würde. Inzwischen präsentieren sich die Feldbestände in den USA in immer schlechterer Verfassung.

Das Niederschlagsdefizit in fast allen Anbauregionen, die extreme Trockenheit in immer mehr Regionen und die Hitzewelle im Süden und der Mitte in den letzten Tagen setzt inzwischen auch den Maisbeständen hart zu.

Viele Beobachter erwarten, daß das US-Landwirtschaftsministerium in der kommenden Woche seine Juli-Ernteprognose nicht nur bei Mais nach unter korrigieren wird.

 

2.

Marktfaktor Osteuropa
Die Ernteerwartungen für Osteuropa werden seit Wochen laufend nach unten korrigiert. In der Ukraine hat die Ernte inzwischen begonnen und die Erträge fallen noch niedriger aus, als bisher erwartet wurde. Das Landwirtschaftsministerium in Kiew hat seine Ernteerwartungen jetzt deutlich zurückgenommen und erwarten mit nur noch 45 bis 47 Mio.t Getreide inzwischen eine um rund 19 geringere Ernte als im Vorjahr (56,7 Mio.t). Die Weizenernte könnte mit nur 12,3 Mio.t sogar fast 10 Mio.t bzw. 44 % niedriger ausfallen. Die Gersten- und Raps-Erträge fallen ebenfalls kleiner aus.

Auch in Rußland haben Hitze und Trockenheit die Ernteerwartungen kräftig reduziert. Das russische Analystenhaus SovEcon, Moskau hat am 03.07.2012 seine Ernteschätzung noch einmal deutlich nach unten korrigiert. Jetzt erwartet man nur noch eine Weizenernte von 48,5 Mio.t nachdem man am 20. Juni noch mit 50 bis 51 Mio.t gerechnet wurde.
(Siehe auch: "Ernte 2012: Russische Ente nochmals kleiner geschätzt"
Die gesamte Getreideernte wird jetzt nur noch mit 80,5 bis 85 Mio.t prognostiziert und damit rund 12 % niedriger als im Vorjahr (94 Mio.t).

 

3.

Marktfaktor Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB)
Nacheinander gaben die Notenbanken von China, Großbritannien und der Euro-Zone heute Lockerungen der Geldpolitik bekannt. Die EZB senkte den Leitzins auf einen historischen Tiefstand ab. Der Rat der EZB hat heute beschlossen, den Satz von 1 Prozent auf jetzt 0,75 Prozent herabzusetzen. Es ist das erste Mal seit Gründung der Europäischen Währungsunion, daß der Leitzins weniger als 1 Prozent beträgt. Begründet wurde die historische Zinssenkung mit dem Kampf gegen eine drohende Vertiefung der Rezession.
Auch an den Devisenmärkten war die Leitzinssenkung zwar erwartet worden. Dennoch gab der Euro im Verhältnis zum US-Dollar nach.
Niedrige Zinsen verbilligen zwar die Kredite, so daß insgesamt mit einer Zunahme der Investitionen und des Konsums gerechnet werden kann. Damit kurbeln niedrige Zinsen üblicherweise zwar die Konjunktur an. Doch zugleich befeuern sie auch die Inflation.

 

 

Prognose
Marktfaktor 3 - die Leitzinssenkung der EZB - hat es nicht geschafft, mit Liquidität die Probleme in der Euro-Zone zu "ersäufen". Die Euphorie nach der Zinsentscheidung war schnell verflogen und die Aktienmärkte drehten hierzulande und in den USA wieder ins Minus.

Für die Investoren war das ein klares Signal sich den Hausse-Phantasien an den Agrarrohstoffmärkten zuzuwenden. Die Preisrallye sorgt inzwischen für wahre Domino-Effekte:

Die Rallye an den Börsen gewinnt an Fahrt.
Das wachsende Interesse der Investoren läßt auch das Spekulationspotential steigen.
An den Kassamärkten zögern Verkäfer Geschäftsanschlüsse in der Hoffnung auf weitere Preissteigerungen hinaus, so daß der Realmarkt zusätzlich verknappt wird.
Die wechselhafte Witterung in Deutschland verzögert aktuell den Erntestart. Viele Handelsbetriebe und Verarbeiter bemühen sich daher jetzt noch um den Abschluß von Termingeschäften, da sich ihre Hoffnungen auf preisgünstige Zukäufe während der Erntezeit zerschlagen.
Eine niedrigere Mais-Ernte in den USA hätte direkte Hausse-Wirkung auf den Futterweizen- und Futtergetreidemarkt. Infolge der erwarteten knappen Versorgungslage auch am europäischen Futtergetreidemarkt gewährt die Futtermittelbrache derzeit deutliche Prämien.
Die niedrige Ernte in Osteuropa hat bereits heute starke Wirkung auf die Inlandspreise in Rußland und in der Ukraine. Aufgrund der schrumpfenden Lagerbestände hat sich Brotweizen in Rußland zuletzt um 7,6 % verteuert. Auch wenn die Regierungen in Moskau und Kiew derzeit beteuern, keine Exportbeschränkungen zu planen, bleibt abzuwarten, wie man in den osteuropäischen Staaten auf die steigenden Inflationsraten reagieren wird.

 

Nach meiner persönlichen Einschätzung sprechen die fundamentalen Daten zunächst für ein weiterhin hohes Preisniveau - zumindest so lange, wie neiue "schlechte Nachrichten" die Preisphantasien an den Börsen beflügeln.
Angesichts der unsicheren Wetteraussichten und der Konjunkturrisiken muß jedoch mit zeitweilig starken Preisschwankungen aufgrund der hohen Volatilität an den Börsen gerechnet werden.

 
 
 
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