Getreide: Weiter auf Defizitkurs


S. Linker sabine.linker@llh.hessen.de Stand: 16.10.2012


An den Börsen bestimmten in den letzten Tagen rote Zahlen die Kurse. Der Kassamarkt war in Deckung gegangen. Doch trotz geringer Umsätze wird zu stabilen Preisen gehandelt. Denn die fundamentalen Daten sorgen für Hausse-Signale. Sollte man sich jetzt um den Verlauf der Ernte 2012 bzw. 2013 kümmern oder zunächst abwarten?

 

Marktlage
Zunächst sorgte der Oktober-Bericht des US-Landwirtschaftsministeriums vom 11.10.2012 für einen Kurssprung nach oben. Doch die Hausse-Effekte waren schnell verpufft angesichts des Mangels an neuen "schlechten" Nachrichten und schwindenden Rendite-Chancen an den Börsen.

Ausgehend von den Verkäufen der großen Fondsgesellschaften an den US-Börsen gerieten auch an der Warenterminbörse Euronext-Paris die Kurse unter Druck. Seit Anfang Oktober gaben die Weizen-Kurse des Fronttermines um 2,5 % auf 259,00 Euro/t am gestrigen Handelstag nach. In den USA haben die Kursverluste seit Anfang Oktober bereits 5 % erreicht.

Während an den Börsen zunächst einmal "Kasse gemacht" und damit kräftiger Kursdruck auslöst wird, herrscht am Kassamarkt zunächst einmal die Devise: "Erst einmal abwarten!" Etliche Unternehmen im regionalen Agrarhandel haben zunächst einmal Neugeschäfte ausgesetzt. Die wenigen Neugeschäfte, die zum Abschluß kamen, werden zu weitgehend stabilen Preisen abgeschlossen. Aktuell steht die Abwicklung bereits geschlossener Kontrakte im Getreide- und Rapssaatenhandel auf der Tagesordnung, zumal auch die Verarbeiter noch ausreichend versorgt sind.

Auch die Produzenten bieten derzeit nur wenig Ware an. Ein großer Teil der Ernte wurde bereits während der Erntezeit oder kurz danach verkauft. Für die eingelagerte Ware ist ein späterer Verkaufszeitpunkt, oftmals erst im kommenden Jahr, eingeplant. Damit kommt derzeit auch kein Preisdruck auf.

Aktuell stellen sich viele Landwirte die Frage, ob sie sich jetzt zügig um den Verlauf der Ernte 2012 bzw. 2013 kümmern sollten oder ob es sinnvoller wäre, zunächst die weitere Preisentwicklung abzuwarten?


Der Preisabstand zwischen den Börsennotierungen und den Erzeugerpreisen (Pfeil Nr.2) wird zwar enger, ist mit immer noch rund 20 Euro/t aber ausreichend groß, um bei einem begrenzten Angebot noch weitgehend stabile Preise zu untermauern. Viele Produzenten hoffen auf weitere Preisanstiege und verschieben geplante Verkäufe eingelagerter 2012er Ware zunächst einmal nach hinten.

Auch Ex-Ernte-2013-Verkäufe werden derzeit nur selten besprochen. Die Einkaufspreise des Agrarhandels oder der Verarbeiter spiegeln aus Sicht der Landwirte nicht den zu erwartenden Preisanstieg am Getreidemarkt wider. Der nach wie vor weite Kursabstand zwischen den Terminen "November 2012" und "November 2013" (Pfeil Nr.1) von rund 29 Euro/t macht den Verkauf der 2013er vergleichsweise unattraktiv.

 

Fakten

  • Welt: Defizitäre Getreideernte
    Die weltweite Getreideernte 2012/13 wird nicht nur nach Einschätzung des Internationalen Getreiderates vom 28.09.2012, sondern auch des US-Landwirtschaftsministeriums vom 11.10.2012 defizitär ausfallen. Bei einem erwarteten globalen Verbrauch von 2.063 bzw. 1.970 Mio.t Getreide (incl. Reis) verfehlt die Produktion um knapp 2 % bzw. knapp 5 % den Bedarf.

    Allein das "Leitprodukt" Weizen kann bei einer Ernte von 657 bzw. 591 Mio.t den Bedarf von 679 bzw. 642 Mio.t nicht decken. Die weltweiten Lagerbestände sinken daher auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2008/09.


    Die Versorgungsbilanz bei Weizen fällt damit in der laufenden Saison sehr eng aus. Der globale Bedarf kann nur durch die Lagerbestände aus vorangegangenen Ernten gedeckt werden. Vor allem die Produktionslücke bei Weizen sorgt für Hausse-Signale.

     Hausse-Tendenz

 

  • EU: Kleinere Ernte - flotter Export
    Auch in der EU haben Frost, Hitze und Trockenheit in der Saison 2012/13 zu deutlichen Ernteverlusten geführt. Der Internationale Getreiderat hat seine Prognose für die EU-27-Getreideernte am 28.09.2012 auf 269,7 Mio.t nach unten korrigiert. Damit wäre die Ernte rund 5 % kleiner als im Vorjahr ausgefallen.

    Allein die Weizenernte läge mit 131,4 Mio.t rund 4,4 % unter der Produktion des Vorjahres (137,4 Mio.t ). Die geringere Ernte läßt auch das Exportpotential der EU sinken - obwohl EU-Weizen angesichts des hohen Preisniveaus immer bessere Chancen am Weltmarkt hat. Seit Wochen kann EU-Weizen auch in Länder exportiert werden, die in den letzten Jahren aus der Schwarzmeerregion beliefert wurden.

    Auch Exporte aus Deutschland laufen inzwischen flotter, nachdem auch in Frankreich das Angebot kleiner ausfällt und der Export die Weizenbestände schneller als erwartet schrumpfen läßt. Mit 4,2 Mio.t Weizen lagen die EU-Exporte in der letzten Woche bereits 3,3 % höher als zur selben Zeit des Vorjahres.
    Fazit: Die Exportnachfrage läßt derzeit keinen Angebotsdruck aufkommen.

     Hausse-Tendenz

 

  • Australien: Trockenheit gefährdet die Ernte
    Die Ernte in Australien könnte kleiner ausfallen als bisher vermutet. Der September-Bericht des australischen Landwirtschaftsministeriums prognostiziert noch eine Weizenernte von 22,5 Mio.t. Inzwischen befürchten private Analysten, daß die australische Weizenernte möglicherweise nur bei 20,0 Mio.t liegen könnte. Nach der Rekordernte im Vorjahr (29,5 Mio.t) wäre das ein Produktionsrückgang um 32 %. Eine kleinere Ernte würde auch das Exportpotential reduzieren.

    Zwar hat sich nach den Messungen der Wetterämter das Klima-Phänomen „El Niño“ im pazifischen Ozean wieder abgeschwächt. Trotzdem entwickelt sich das Anbauwetter in großen Bereichen Australiens weiterhin sehr ungünstig.
    [Anm: Siehe auch Beitrag "Getreide: Gewinnmitnahmen versus Wetter-Spekulation" vom 31.08.2012.]

    Zunehmendes Niederschlagsdefizit in Australien
    01. April bis 30. Juni 2012 01. April bis 31. Juli 2012
    01. April bis 30. September 2012

    Der von der Trockenheit besonders betroffene Bundesstaat "Western Australia" hat einen hohen Anteil an der australischen Ernte: Im letzten Jahr wurde dort knapp 40 % der australischen Rekord-Weizenernte produziert.

    In "Western Australia" ist es noch immer viel zu trocken und bis zum Ende der Woche werden keine größeren Niederschläge erwartet. Für Weizenbestände in der Kornfüllungsphase verschärft sich damit das Ertragsrisiko.

     Hausse-Tendenz

 

  • USA: Regen verbessert die Anbaubedingungen
    In den USA hatte man am letzten Wochenende ergiebige Niederschläge und wieder wärmere Temperaturen erwartet. Doch in weiten Regionen der "Northern Plains" blieb der Regen aus. Das Niederschlagsdefizit besteht daher dort nach wie vor. Auch in den "Southern Plains" hat sich die Lage nur im Südosten entspannt. In anderen wichtigen Anbauregionen haben ergiebige Niederschläge die Anbaubedingungen jedoch deutlich verbessert.

    Bis zum Ende der letzten Woche waren allerdings nur 36 % der Winterweizenbestände aufgelaufen in Vergleich zum 5-Jahres-Durchschnitt von 44 %.

     Hausse-Tendenz

 

  • Osteuropa: Inflation und rückläufige Exporte
    In Rußland haben nicht nur die Brot- und Futtergetreidepreise im Inland neue Höchststände erreicht. Daher startet am 23. Oktober der Verkauf von Getreide aus russischen Interventionsbeständen.

    Auch die russischen Exportpreise sind nach oben geschnellt. Russischer Weizen hat sich in den letzten vier Monaten um rund 40 % verteuert und wird derzeit etwa 12 bis 15 Euro/t teurer als andere Herkünfte am Weltmarkt angeboten. Am Weltmarkt hatten russische Exporteure zunehmend Probleme, zum Zuge zu kommen. Mit umgerechnet 277 Euro/t war Weizen mit 11,5 % Protein ab russischem Exporthafen in der letzten Woche noch vergleichsweise teuer.

    Daher hat der russische Landwirtschaftsminister Nikolai Fedorov seine Erwartungen für den Getreideexport inzwischen auf 10 Mio.t zurückgenommen, jedoch nochmals betont, Rußland plane keine neuen Exportrestriktionen.

    Die Ukraine hat gestern das zwischen den Exportunternehmen und der Regierung vereinbarte Exportlimit für 2012/13 um 1 Mio.t auf 5 Mio.t aufgestockt. Bisher lag das maximale Exportvolumen bei 4 Mio.t und diese Grenze wäre in Kürze erreicht gewesen.

    Kasachstan hat seine Export-Erwartungen ebenfalls nach unten korrigiert, da die wochenlange Dürre zu hohen Ernteverlusten geführt hat. Mit 12 Mio.t liegt die Getreideernte nach Mitteilung des Landwirtschaftsministeriums rund 55 % unter der Produktion des Vorjahres (26,9 %). Auch in Kasachstan sind die Weizenpreise im Inland explodiert. Allein seit Juli sind die Weizenpreise um 80 % auf umgerechnet 216 Euro/t in die Höhe geschnellt.

     Hausse-Tendenz

 

Prognose
Gewinnmitnahmen an der Börse bewegen auch die Preisentwicklung am Realmarkt. Doch letztendlich ist es der Realmarkt, an dem Angebot und Nachfrage über den mittel- und langfristigen Preistrend entscheiden.

Hier signalisieren die fundamentalen Daten nicht nur eine äußerst enge Versorgungsbilanz, sondern auch weitere Produktionsrisiken - nicht nur für die Südhalbkugel, sondern inzwischen auch wieder für die Nordhalbkugel.

An diesen fundamentalen Daten kommen auch die Investoren an den Agrarrohstoffbörsen nicht vorbei. Nach der Liquidationswelle der letzten Tage steigen die Anleger heute wieder ins Geschäft ein und sorgen bei den Kursen für eine Trendwende nach oben. Diesseits wie auch jenseits des Atlantiks zeigen die Börsenkurse nach oben.

Nach meiner persönlichen Einschätzung eröffnen die fundamentalen Daten erneut einen begrenzten Preisspielraum nach oben. Wie groß dieser Spielraum ausfallen wird, hängt auch von der länger werdenden Liste an Unsicherheitsfaktoren ab:
• Anbaubedingungen in den USA,
• Exportpreise und Exportpotential Rußlands,
• Exportlimit der Ukraine,
• Ernteerwartungen in Australien und Südamerika,
• Auswirkung der Konjunkturentwicklung auf den globalen Importbedarf wichtiger Einfuhrländer,
• Importbedarf der VR China (Futterkomponenten ...),
• Winterwitterung auf der Nordhalbkugel zur Ernte 2013.

Fazit: Nicht nur für den Verkauf der Ernte 2012, sondern auch für die Vermarktung der kommenden Ernten - 2013 und 2014 - sollte nach meiner Einschätzung der Markt beobachtet werden. Das vergleichsweise hohe Preisniveau bietet unter kaufmännischen Gesichtspunkten gute Rendite-Chancen vom Acker.

 
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